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Im Trend der Zeit: Längere Haltbarkeit von Lebensmitteln durch verbesserte Entkeimungsmethoden für Verpackungsmittel
Viele Unternehmen der Lebensmittelindustrie operieren in zunehmendem Maße überregional und grenzüberschreitend. Sogar frische Produkte wie Trinkmilch, Joghurt oder Milchmischgetränke werden längst nicht mehr nur regional vertrieben. Durch die verlängerten Transport- und Vertriebszeiten steigen aber auch die Anforderungen an die Haltbarkeit der Produkte. Oftmals fordert der Handel noch zusätzlich verlängerte Haltbarkeitszeiten, um die Waren flexibler verteilen zu können.Diese Entwicklung hat zu neuen Technologiekonzepten unter dem Begriff ESL (Extended Shelf Life) geführt, die bisher in erster Linie Anwendung bei der Behandlung von Trinkmilch fanden.
Aus den gesteigerten Anforderungen an die Haltbarkeit entstehen neue Herausforderungen und Handlungsfelder für die Lebensmittelkonservierung. Durch immer keimärmere Rohstoffe oder durch intensiveres thermisches Behandeln wird das Füllgut länger haltbar. Damit wird die Oberflächenentkeimung des Packmittels zum begrenzenden Faktor. Die Verpackung kann ein keimarmes Produkt beim Befüllen rekontaminieren und dadurch die erzielten Entkeimungseffekte wieder deutlich herabsetzen. Deswegen ist es notwendig, auch das Packmittel in demselben Maße wie das Füllgut in seinem hygienischen Status weiter zu entwickeln. Abfüll- und Verpackungsvorgänge sind in nahezu jedem Unternehmen ein integraler Bestandteil der Herstellung industriell verarbeiteter Lebensmittel.
Aufgrund der Wettbewerbslage und der Position der Lebensmittelindustrie dem Handel gegenüber sind hohe Effizienz und das Vermeiden von Verderbsfällen sowie das Verlängern von Haltbarkeitsfristen von größter Bedeutung. Geht man davon aus, dass ein Produktanteil von nur ca. 0,1 % aufgrund zu kurzer Restlaufzeiten an die Hersteller zurückgeliefert wird, so ergibt sich allein aus dem Marktvolumen der Milchfrisch und Milchmischprodukte (5,6 Mio. t/a, mit einem Umsatz von etwa 4 Mrd. Euro) eine jährliche Schadenshöhe von etwa 4 Mio. Euro.
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Impulse für die kaltaseptische Produktabfüllung
Um das Ziel einer verbesserten Entkeimung von Packstoffen zu erreichen, scheidet die Erhöhung des Einsatzes von chemischen Entkeimungsmitteln aus. Abwasser- und Rückstandsprobleme sowie zunehmend verschärfte Anforderungen seitens des Gesetzgebers machen es im Gegenteil erforderlich, den Einsatz chemischer Mittel so weit wie möglich zu reduzieren. Neue Entwicklungen in Bezug auf leichte, zum Teil vorgeformte transport- und energiefreundliche Verpackungsmaterialien stellen zusätzliche Anforderungen an die Packstoffentkeimung.
Ziel des Vorhabens war es, im Rahmen der Industriellen Gemeinschaftsforschung neue Entkeimungsmethoden mit hoher Effizienz und geringem Einsatz chemischer Entkeimungsmittel zu entwickeln, die schnell und rückstandsfrei auch auf vorgeformten Packmitteln angewendet werden können.
Am Zentralinstitut für Ernährungs- und Lebensmittelforschung der TU München wurde hierzu von Dr. Patrick Engelhard in der Arbeitsgruppe von Prof. Ulrich Kulozik folgender Lösungsansatz gewählt:
- Entwicklung einer zuverlässigen, reproduzierbaren Testmethodik zur Untersuchung von Entkeimungseffekten
- Einbringen von Wasserstoffperoxid in einen Heißluftgasstrom anstelle von Aufsprühen oder Einsatz im Tauchbad
- Vorwärmen des Packmittels zur Vermeidung von Kondensation und somit Ausschluss von Wasserstoffperoxid-Rückständen
- Kombination der Wasserstoffperoxid-Wirkung mit Infrarot-Aufheizung der Packstoffe zur Realisierung sehr hoher Entkeimungsgeschwindigkeiten bzw. damit verbundener kurzer Taktzeiten beim Entkeimen des Packstoffs vor dem Befüllen
- Untersuchung von Synergieeffekten von Wasserstoffperoxid und Luftfeuchte im entkeimenden Heißluftgasstrom
- Übertragung der Ergebnisse auf reale Packmittel unter praxisnahen Bedingungen, d. h. vorgefertigte Behältnisse und kurze Taktzeiten.
Die Forschungsergebnisse geben wichtige Impulse für die wirtschaftliche Praxis:
- Die Entkeimung mit peroxidhaltiger, nichtkondensierender Heißluft ist ein extrem leistungsfähiges Entkeimungsverfahren. Selbst resistente Sporen können hiermit in wenigen Sekunden abgetötet werden.
- Im Vergleich zur Entkeimung mit flüssigem Wasserstoffperoxid sind auf Grund der hohen Wirksamkeit des Verfahrens deutlich niedrigere Mengen an Entkeimungsagentien notwendig (Einsparung bis zu 50 %). Der Einsatz von chemischen Entkeimungsmitteln wird somit verringert. Das Entkeimungsverfahren kann auch bei ungewöhnlichen Gebindeformen verwendet werden, da sich einströmendes Gas im gesamten Innenraum ausbreiten kann und somit alle Stellen erreicht werden.
- Hochleistungsfähig ist eine Kombination aus Infrarot-Bestrahlung und einem vorhergehenden Aufsprühen geringer Mengen verdünnter Wasserstoffperoxidlösungen auf flache Packstoffe, z.B. Deckelfolien. Bei geeigneter Prozessführung kann mit diesem Verfahren die Inaktivierung von Mikroorganismen deutlich beschleunigt werden, wobei gleichzeitig die Temperaturbelastung des Packstoffs sinkt und keine Gefahr von Rückständen des Entkeimungsagens besteht.
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Internationaler Vorsprung durch Innovationen
Die Anwendung der im Rahmen des Projekts entwickelten neuen Technologie konnte sich innerhalb kürzester Zeit als innovative technische Lösung zur Realisierung haltbarkeitsverlängerter und sicherer Lebensmittel in der Abfülltechnik etablieren. Dies ist auch ein Ergebnis des intensiven Technologietransfers, der bereits in der Konzeptionierungsphase des Projekts auf einen breiten industriellen Anwenderkreis fokussierte.
Die Forschungsergebnisse haben Abfüllmaschinenherstellern innovative Möglichkeiten zur Gestaltung von Anlagen im Ultraclean- und Aseptikbereich aufgezeigt, die zeitnah im Anschluss an das Projekt in der Praxis realisiert wurden.
Die erste Installation des maschinentechnischen Konzepts bei der Firma Gropper wurde mit dem weltweit ausgeschriebenen "European Food Tec Award" ausgezeichnet. Inzwischen sind drei weitere Gesamtabfüllanlagen mit neuen Verpackungslinien in der Milch- und Getränkeindustrie errichtet worden. Darüber hinaus sind 13 weitere Teilanlagen mit Nutzung des Grundkonzepts der Applikation von gasförmigem Wasserstoffperoxid in der Verschlusssterilisierung in Betrieb gegangen.
Die Anlagen, die mit grundsätzlich höherer Leistungsfähigkeit und deutlich geringerer Umweltbelastung arbeiten, können als neue Generation der Abfülltechnik bezeichnet werden. Diese Technik garantiert nicht nur die Produktion haltbarkeitsverlängerter und sicherer Lebensmittel, sondern eröffnet insbesondere auch dem exportorientierten Verpackungsmittelmaschinenbau neue Marktchancen. Ein besonderer Vorteil für die Marktchancen im internationalen Wettbewerb ergibt sich, da innerhalb des Projekts auch die Entkeimungswirkung auf Keime nachgewiesen wurde, die in anderen Regionen der Welt, z.B. im asiatischen Raum, haltbarkeitsbegrenzend sind. -
Projektbeteiligte
Forschungsstelle:
Industriegruppen:
- Milchindustrie-Verband e.V., Bonn
- VDMA Fachverband Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen, Frankfurt
(Stand: Oktober 2008)
Forschungsvorhaben AiF 13202 N "Haltbarkeitsverlängerung von Milchprodukten durch Optimierung der Keiminaktivierung im Lebensmittel und auf Packstoffen"
... ein Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF)