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Gefahr erkannt – Gefahr gebannt: Deutliche Senkung der Acrylamidwerte in deutschen Lebensmitteln
Beim Backen, Braten und Frittieren – im Haushalt, im Handwerk und in der Industrie: Bei der sachgemäßen Herstellung und Zubereitung von Getreide- und Kartoffelerzeugnissen entsteht Acrylamid. Die Substanz gelangte im April 2002 zu einem zweifelhaften Medienruhm, nachdem ihre kanzerogene Wirkung in Tierversuchen nachgewiesen und nicht unerhebliche Konzentrationen von Acrylamid in verschiedenen Lebensmitteln festgestellt worden war.
Die Thematik gestaltete sich dabei überaus komplex, da weder bekannt war, warum bzw. wie Acrylamid gebildet wird noch wie eine Entstehung verhindert oder minimiert werden kann. Ein "Fehlverhalten" seitens einzelner Unternehmen konnte daher von vornherein ausgeschlossen werden. Sicher war nur, dass der einfache Ersatz gängiger Zubereitungsverfahren oder der Verzicht auf eine Erhitzung nicht möglich war, ohne den typischen Charakter von Produkten, wie Brot, Gebäck, Chips oder Pommes frites, grundlegend zu verändern.
Die Notwendigkeit, die Forschung zum Themenkomplex Acrylamid branchenübergreifend und vorwettbewerblich durchzuführen, lag auf der Hand. Diverse Branchen der Lebensmittelwirtschaft und deren Zulieferer sowie Unternehmen jeder Größe waren betroffen: vom Chipsproduzenten bis zum Maschinen- und Anlagenbauer, von der kleinen Konditorei bis zur Großbäckerei.
Umgehend nach Bekanntwerden des Problems wurde auf gemeinsame Initiative des FEI und des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) ein erstes Gemeinschaftsforschungsprojekt konzipiert, das als das bis dahin größte Vorhaben der Industriellen Gemeinschaftsforschung AiF-Geschichte schrieb.
Ein mehrdimensionaler, interdisziplinärer Ansatz war nötig, der sich auf die Klärung folgender Punkte konzentrieren sollte: Entstehungsmechanismen und ihre Beeinflussung, verbesserte Analytik und toxikologische Bewertung, lebensmitteltechnologische Minimierungsmöglichkeiten und nicht zuletzt auf neue gerätetechnische Lösungen.
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International anerkannt
Mit dem Abschluss eines zweiten Acrylamid-Projektes im vergangenen Jahr wurde ein international wegweisendes Minimierungskonzept entwickelt, das dazu beigetragen hat, den Acrylamidgehalt deutscher Lebensmittel in breitem Umfang zu senken: Deutsche Produkte haben heute weltweit mit die niedrigsten Acrylamidwerte.
Dies ist für Verbraucher von großer Bedeutung; und es zeigt noch mehr: Die deutsche Lebensmittelwirtschaft hat in vorbildlicher Weise bestätigt, dass sie unter Bündelung aller Kräfte und Ressourcen ein komplexes Problem gemeinschaftlich lösen kann – mit Hilfe Industrieller Gemeinschaftsforschung. Das entwickelte Konzept und dessen Umsetzung stärkt nicht nur das Vertrauen der Verbraucher, sondern sichert auch die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Lebensmittelhersteller im europäischen und weltweiten Vergleich und damit auch den Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland. -
und von hoher wirtschaftlicher Relevanz
Die direkte Einbeziehung von über 35 Unternehmen und 11 Fachverbänden in den Projektbegleitenden Ausschüssen sowie die Mitwirkung des BLL als Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft trug im hohen Maße dazu bei, dass praxisnahe Lösungen mit hoher wirtschaftlicher Relevanz entstanden sind.
Besondere Herausforderung der Vorhaben, an denen fünf Forschungsinstitute mit unterschiedlichen Expertisen beteiligt waren, war es, Wege zu finden, den Acrylamidgehalt zu reduzieren und gleichzeitig die vom Verbraucher geforderten, typischen Produktqualitäten, wie Bräunung oder Knusprigkeit, zu erhalten.
Die wissenschaftlichen Arbeiten umfassten zum einen grundlegende Untersuchungen u.a. zu der Frage, wie das Acrylamid überhaupt im Lebensmittel entsteht. Dabei wurden sowohl neue Vorläufersubstanzen von Acrylamid aufgespürt als auch Wege zu geringeren Acrylamidgehalten aufgezeigt. So führt z.B. eine geeignete Nährstoffversorgung der Getreidepflanzen in den daraus gewonnenen Mehlen beim Backen zu niedrigeren Belastungen. -
Neue Verfahren entwickelt
Die technologischen Forschungen konzentrierten sich auf die Prozesse bei der Herstellung der hauptsächlich betroffenen Produktgruppen Kartoffel- und Getreideerzeugnisse. Im Ergebnis dieser Ansätze wurden Zusammenhänge zwischen den Eigenschaften der Rohstoffe, den Erhitzungsparametern und dem resultierenden Acrylamidgehalt im Endprodukt ermittelt. Auf dieser Basis wurden Strategien für eine deutliche Reduzierung der Acrylamidgehalte bei Erhaltung der Produktqualität entwickelt. Bei der Herstellung tiefgefrorener vorfrittierter Pommes frites gehört dazu eine gezielte Vorbehandlung der Kartoffelstäbchen, so dass beim abschließenden Fertigfrittieren zwar die gewünschte Bräune, aber weniger Acrylamid entsteht. Für den Bereich der Brote und Kleingebäcke wurden u.a. neuartige, gesplittete Backverfahren entwickelt, die bei Erhalt wichtiger Qualitätsparameter eine Reduzierung des Acrylamids beim Backen ermöglichen.
Im ersten Projekt wurden diese und andere Minimierungsansätze im Labormaßstab entwickelt und getestet, während der Fokus des zweiten Projekts auf der Applikation und Weiterentwicklung der neuen Verfahren für kleintechnische Anlagen lag. Auf diese Weisewurde sichergestellt, dass die vorwettbewerblich gewonnenen Erkenntnisse insbesondere auch von kleineren Unternehmen schnell umgesetzt und wirtschaftlich verwertet werden können.
Parallel dazu wurden auch Fragen der Toxikologie des im Lebensmittel gebildeten Acrylamids berücksichtigt. In der ersten Projektphase wurden Untersuchungen zum kanzerogenen Wirkmechanismus von Acrylamid durchgeführt, die zeigten, dass Acrylamid über seine metabolische Umwandlung zu Glycidamid genotoxisch wirkt, gleichzeitig aber eine effiziente Bindung und Inaktivierung von Acrylamid im biologischen System stattfindet.
Mit der Umsetzung der Ergebnisse aus dem Vorhaben konnte und kann die deutsche Lebensmittelwirtschaft ihre Produktionsverfahren gezielt optimieren und so Lebensmittel mit den gewohnt hohen Qualitätsstandards, aber reduzierten Acrylamidgehalten national und international anbieten. -
Projektbeteiligte
Forschungsstellen:
- Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik (DIL), Quakenbrück
- Institut für Lebensmittel- und Umweltforschung (ILU), Nuthetal
- Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Chemie, Fachrichtung Lebensmittelchemie und Umwelttoxikologie
- Deutsche Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie (DFA), Garching
Industriegruppen:
- Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL), Bonn
- Bundesverband der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie e.V., Bonn
- Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e.V., Bad Honnef
- Verband Deutscher Großbäckereien e.V., Düsseldorf
- VDMA Fachverband Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen e.V., Frankfurt
- Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e.V., Bonn
(Stand: Juni 2009)
Forschungsvorhaben:
- AiF 209 ZBG "Entwicklung und Anwendung neuer Verfahrensabläufe in Produktionsanlagen für Kartoffel- und Getreideerzeugnisse mit reduzierten Gehalten an Acrylamid und dessen Folgeprodukten"
- Abschlussspublikation (PDF-Datei) - AiF 108 ZBG "Entwicklung von neuen Prozesstechniken zur Vermeidung des Acrylamid-Gehaltes in Lebensmitteln"
- Abschlusspublikation (PDF-Datei)
... ein Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF)