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Deutsche Winzer können aufatmen: Forscher entwickeln erfolgreich Minimierungsstrategie für Petrol-Fehlnote in Riesling
Nach dem Sommer 2018 ist es offensichtlich: Die globale Erwärmung ist auch in Deutschland angekommen. Eine der Folgen im deutschen Weinbau ist, dass die Lese noch nie so früh begonnen hat wie 2018 – ein Indikator für den Klimawandel. Eine weitere Folge ist, dass langfristig, besonders bei Weißweinen, die charakteristischen Merkmale einer kühleren Anbauregion verloren gehen könnten: Die Weine drohen säureärmer, alkoholreicher und weniger fruchtig zu werden. Gerade im Riesling bildete sich während der heißen Sommer 2009 und 2011 vermehrt eine Fehlnote, die an den Geruch von Petroleum oder Kerosin erinnert.Das Problem trat vorher nur bei Rieslingen auf, die in heißeren Regionen angebaut wurden – und hat einen Namen: 1,1,6-Trimethyl-1,2-dihydronaphthalin, kurz TDN. Die Verbindung ist ein Abbauprodukt der Carotinoide, die bei erhöhter Sonneneinstrahlung als Schutz in der Beerenhaut eingelagert werden. Es gelangt über glykosidisch gebundene Vorläufersubstanzen in den Most bzw. Wein und wird vor allem säurekatalysiert erst im Verlauf der Weinlagerung freigesetzt. Daher kann das TDN bei der Abfüllung sensorisch noch nicht festgestellt werden.
In geringen Konzentrationen verleiht TDN eine Riesling-typische und geschätzte Reifenote. Doch in hohen Konzentrationen entwickelt sich die unerwünschte Petrol-Fehlnote – die hergestellten Weine und Sekte verlieren ihre Sortentypizität und werden von Verbrauchern als fremdartig empfunden. Aufgrund der globalen Erwärmung wird erwartet, dass die TDN-Gehalte in Rieslingen weiter steigen werden.
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IGF-Erfolg zum perfekten Zeitpunkt
Vor dem Hintergrund, dass Riesling die “Vorzeigerebe” Deutschlands ist und seine hiesige Anbaufläche von 23.800 Hektar fast 50 Prozent der weltweiten Rieslinganpflanzungen bestreitet, war 2018 ein perfekter Zeitpunkt für den Abschluss eines Projektes der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF): In dessen Verlauf hat ein Team von Forschern aus Neustadt a.d. Weinstraße und Braunschweig erfolgreich eine – mehrere weinbauliche und technologische Maßnahmen umfassende – Minimierungsstrategie für TDN entwickelt.
Im Rahmen der dreijährigen Forschungsarbeiten wurde zunächst eine schnelle und reproduzierbare Quantifizierungsmethode (Stabilisotopenverdünnungsassay) für TDN und das verwandte Vitispiran in Trauben, Most und Wein entwickelt und in einem kleinen Ringversuch von drei Laboren validiert. Anschließend wurde die TDN-Konzentration in Wein und Sekt ermittelt, die eindeutig als Fehlnote bewertet wird.
Es zeigte sich, dass der Wahrnehmungsschwellenwert von Verbrauchern mit 14,7 μg/L rund sechsmal höher liegt als der eines trainierten Sensorik-Panels. Doch zwischen Wahrnehmung und Ablehnung liegen abermals große Unterschiede: Verbraucher lehnten einen einjährigen Riesling erst bei 60 μg/L TDN ab, einen achtjährigen Riesling sogar erst bei 91 μg/L. Das in seiner biochemischen Genese sehr verwandte Vitispiran war deutlich weniger geruchsaktiv: Das Sensorik-Panel ermittelte Wahrnehmungsschwellen von 101 μg/L in Wein und 151 μg/L in Sekt. -
Minimierung durch Wahl der Hefe
Ein besonderes Augenmerk liegt damit auf der Rolle der Hefe, die einen erheblichen Beitrag zur Reduzierung der Petrol-Fehlnote leisten kann: Denn durch die Wahl der Hefe kann im Vorläufermolekül des TDN das 50 Mal geruchsschwächere Vitispiran entstehen. Tatsächlich variierte je nach Hefestamm die Bildung des TDN um 40 Prozent. Studien mit synthetisierten Vorläufern zeigten auf, wie komplex der Bildungsweg ist und dass im Wein über 100 Prekursoren für TDN vorliegen.
Nach der erfolgreichen Synthese der Referenzsubstanzen wurden über 300 Rieslingweine (Weine des Wettbewerbs “Best of Riesling” 2015 und 2016 und des “Mundus Vini”-Preises 2015 und 2016) aus acht Ländern und Anbaugebieten auf ihre Gehalte an freiem und gebundenem TDN und Vitispiran analysiert. Dabei waren die TDN-Konzentrationen meist unterhalb der Wahrnehmungsschwelle von Verbrauchern. Hingegen lag mehr als die Hälfte der Weine über dem Schwellenwert der Experten, insbesondere ältere Rieslinge.
Ausgangspunkt der TDN-Bildung sind Carotinoide, deren Bildung und Einlagerung maßgeblich vom Grad der Sonnenexposition abhängig ist. Die in drei Jahrgängen durchgeführten Versuche belegten einen hochsignifikanten Einfluss des Entblätterungszeitpunkts und des Grades der Traubenfreistellung. Wurde bereits einen Monat vor der Traubenreife entblättert, zeigten sich um 25 Prozent höhere Gehalte an TDN-Vorläufern als bei einer späteren Entblätterung zum Zeitpunkt der Véraison. Auch die nur auf eine Seite der Rebzeile beschränkte Freistellung der Trauben minimierte das Bildungspotenzial von TDN. Ebenso konnte belegt werden, dass der Gehalt an TDN-Vorläufern mit dem Umfang der Entblätterung zunimmt.
Des Weiteren wurden in den drei Versuchsjahren insgesamt zwölf Selektionen des Rieslings und sechs verschiedene Rebunterlagen hinsichtlich ihres TDN-Bildungspotentials charakterisiert. So erhöhte bereits die Wahl einer schwach- gegenüber einer starkwüchsigen Unterlage im Mittel das TDN-Potenzial um 30 Prozent.
Die aus phytosanitären Gründen bevorzugten lockerbeerigen Trauben neuer Riesling-Selektionen zeigten ein um 25 Prozent erhöhtes Risiko, die Petrol-Fehlnote zu entwickeln, da mehr Sonnenlicht die tiefer liegenden Beerenschichten erreicht und somit mehr Carotinoide gebildet werden. -
Konkrete kellertechnische Maßnahmen
Da die Mehrzahl der TDN-Vorläufer in der Traubenschale lokalisiert ist, spielt ebenso der Grad des Auspressens der Trauben eine wichtige Rolle. So zeigte sich, dass durch die ausschließliche Verwendung des Freiablaufs beim Auspressen der Trauben der Gehalt an gebundenem TDN gegenüber dem gesamten Most um ein Drittel reduziert werden kann, was insbesondere für Sekterzeuger eine gute Nachricht ist. Die Gehalte an freiem TDN konnten im Kleinstmaßstab durch Anwendung von Adsorptions- und Filtrationsmaßnahmen um bis zu 80 Prozent verringert werden, ohne dass es zu einer Abreicherung anderer sortentypischer Aromastoffe kam.
Je niedriger der pH-Wert im Wein und je wärmer die Lagertemperatur der Weine, desto rascher bildet sich die Petrolnote aus. Daher ist die Lagertemperatur ein wichtiger Baustein im Rahmen der TDN-Minimierungsstrategie: So blieben die bei 7 °C gelagerten Rieslinge nach acht Monaten mit 1,2 μg/L TDN deutlich unter dem Schwellenwert, während bei 18°C schon 7,3 μg/L und bei 25 °C sogar 19,3 μg/L gemessen wurden – das sind Konzentrationen, die deutlich über den Schwellenwert liegen. Dies zu wissen ist umso bedeutender, da deutscher Riesling weltweit vertrieben wird: Denn beim Transport in ungekühlten Containern kann der Wein für mehrere Tage Temperaturen von über 30 °C ausgesetzt sein.
Auf Basis dieses Projektes der Gemeinschaftsforschung, an dem zahlreiche auf Riesling spezialisierte Weingüter teilnahmen, können die Winzer das Auftreten der Petrolnote vor Ort steuern und bei Bedarf minimieren: Insbesondere die kellertechnischen Maßnahmen, die Empfehlung zur kühleren Lagerung sowie zur Entblätterung sind in den Betrieben der Weinwirtschaft bzw. im Handel sofort umsetzbar. Als Antwort auf sich ändernde klimatische Rahmenbedingungen sind die Empfehlungen zur Wahl von Unterlagen und Riesling-Selektionen bei Neuanpflanzungen von Rebanlagen mittel- bis langfristig umsetzbar.
Das Zusammenwirken der verschiedenen Maßnahmen bildet einen Meilenstein für die deutsche Weinwirtschaft, die im Mittel der Jahre 2014 bis 2016 in rund 16.000 weinerzeugenden Betrieben – fast ausschließlich KMU – 900 Mio. Liter Wein erzeugten. Damit gehört Deutschland zu den zehn größten Weinproduzenten der Welt. Auf fast einem Viertel der gesamten bestockten Rebfläche in Deutschland wird allein Riesling angebaut.
Riesling-Fans können mit dem erfolgreichen Abschluss dieses IGF-Projektes aufatmen: Durch die Umsetzung der Minimierungsstrategie können die deutschen Winzer auch unter veränderten klimatischen Bedingungen weiterhin Rieslingweine und -sekte von hoher Qualität erzeugen.
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Projektbeteiligte
Forschungsstelle:
- Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz, Neustadt a.d. Weinstraße
Institut für Weinbau und Oenologie - Technische Universität Braunschweig
Institut für Lebensmittelchemie
Industriegruppe:
- Deutscher Weinbauverband e.V. (dwv), Bonn
(Stand: Oktober 2018) - Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz, Neustadt a.d. Weinstraße
Forschungsvorhaben AiF 18680 N "Minimierungsstrategie für 1,1,6-Trimethyl-1,2-dihydronaphthalin (TDN) – Verursacher der Petrol-Fehlnote in Wein und Sekt"
... ein Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF)