Vom IGF-Projekt zur Clean-Label-Produktion: Wie Lipasen bei der Herstellung von Feinen Backwaren Zusatzstoffe ersetzen können


Feine Backwaren sind nicht nur ein Genuss, sondern auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in der deutschen Lebensmittelindustrie: Mit einem Marktwert von 2,9 Milliarden Euro wurden im Jahr 2024 rund 728.000 Tonnen Feine Backwaren produziert – darunter Rühr- und Sandkuchen, Blätterteig- und Plundergebäck sowie Dauerbackwaren wie Kekse oder Lebkuchen. Bei vielen Produkten – Insbesondere bei solchen, die Butter enthalten – ist bislang der Einsatz von Emulgatoren unerlässlich, um eine hohe Qualität der Produkte zu gewährleisten. Zugleich wünschen sich zunehmend mehr Verbraucherinnen und Verbraucher Produkte, die ohne Zusatzstoffe hergestellt werden. Ein Fall für die Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF)!

Enzyme als Lösungsansatz


Vor dem Hintergrund der wachsenden Nachfrage nach Clean-Label-Produkten auch bei Feinen Backwaren haben sich zwei Forscherinnen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Rahmen eines IGF-Projekts des Themas angenommen: Sie stellten Lipasen – wasserlösliche Enzyme, die in Fetten bzw. Lipiden Esterbindungen hydrolysieren und dadurch freie Fettsäuren abspalten – in den Mittelpunkt ihrer Forschungsarbeiten, die Ende 2022 erfolgreich abgeschlossen werden konnten.

Besonders bei Backwaren können Lipasen durch die Freisetzung oberflächenaktiver Lipide eine verbesserte Teigstabilität, mehr Volumen und eine verlängerte Haltbarkeit bewirken. Während diese positiven Auswirkungen bei Broten zu einer Etablierung des Einsatzes von Lipasen führten, stellte er bislang eine Herausforderung bei Feinen Backwaren dar: Enthalten diese Butter – wie es etwa bei Rühr- oder Sandkuchen der Fall ist – können Lipasen kurzkettige Fettsäuren wie Buttersäure freisetzen, die ranzige Fehlaromen verursachen. Daher war der Einsatz von Backlipasen in Feinen Backwaren bislang nicht praktikabel.

Verzicht auf deklarationspflichtige Zusatzstoffe


Um eine hohe Produktqualität gewährleisten und zugleich auf deklarationspflichtige Zusatzstoffe wie Emulgatoren verzichten zu können, bestand seitens der Hersteller der Bedarf, den Einsatz von Backlipasen bei Feinen Backwaren zu untersuchen. Denn während Emulgatoren im Produkt verbleiben und daher mit entsprechenden E-Nummern angegeben werden müssen, erfüllen Lipasen die Kriterien für Clean-Label-Produkte, da sie während des Backprozesses inaktiviert werden und daher nicht in der Zutatenliste deklariert werden müssen.

Substratspezifität als Schlüssel zur erfolgreichen Anwendung


Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Anwendung lag in der Identifizierung von Lipasen mit geeigneter Substratspezifität gegenüber Fettsäuren, die unerwünschte Fehlaromen vermeiden, aber gleichzeitig positive Auswirkungen auf die Backqualität entfalten. Dazu wurden zunächst 17 verschiedene Backlipasen mithilfe des aus der Literatur bekannten p-Nitrophenyl-Assays auf die Fettsäuren, die sie bevorzugt freisetzen, hin untersucht. Dieser Assay (Nachweistest) basiert auf einer einfachen Farbreaktion, bei dem ein p-Nitrophenylester in Anwesenheit einer Lipase zu p-Nitrophenol und einer freien Fettsäure reagiert. Ergänzt wurde der Assay durch eine Sensomics-Analyse der entstehenden Fehlaromen bei der Reaktion der Lipasen mit in Feinen Backwaren üblicherweise eingesetzten Fetten.


Abb. 1: Zugrundeliegende Reaktion des p-Nitrophenyl-Assays. Ein p-Nitrophenylester mit dem Fettsäurerest R reagiert in Anwesenheit einer Lipase zum gelb gefärbten p-Nitrophenol und einer freien Fettsäure.


„Der Transfer in die Industrie hat bereits stattgefunden: Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen können die Ergebnisse dieses erfolgreich abgeschlossenen IGF-Vorhabens nutzen, indem sie in Kooperation mit den entsprechenden Lieferanten die für sie passgenauen Lipasen identifizieren und so effizient in ihren Rezepturen einsetzen. Die positiven Wirkungen auf die Teig- und Produkteigenschaften überzeugen!”

Dr. Alexander Henrich, Technical Service Director Bake bei AB Enzymes GmbH in Darmstadt


Sandkuchen, Rührkuchen und Brioche standen Modell


Die verbleibenden 7 Lipasen, die nur geringe Spezifitäten für kurzkettige Fettsäuren zeigten, wurden dann in drei fettreichen Feinen Backwaren – einem eifreien Sandkuchen, einem traditionellen Rührkuchen und einer hefebasierten Brioche – eingesetzt: In Backversuchen und rheologischen Untersuchungen wurden sodann ihre Auswirkungen auf Teig- und Produktqualität systematisch erfasst. Es zeigte sich, dass die Teig- und Produkteigenschaften Feiner Backwaren durch Lipasen verbessert wurden – das Ausmaß der Verbesserung war abhängig von der Rezeptur und der verwendeten Lipase: Nicht nur die enzymatische Spezifität, sondern auch die physikochemische Struktur der Fette in Teigen und Emulsionen spielt eine wesentliche Rolle für die Wirksamkeit der Lipasen.

Die verwendeten Rezepturen Sandkuchen, Rührkuchen und Brioche (v. l.) in Muffin-Form.
Besonders in eifreien Rührkuchen konnten sie das Backverhalten entscheidend verbessern: Teige wurden weniger klebrig, elastischer und stabiler, während das Backvolumen signifikant erhöht wurde. Das Endprodukt überzeugte mit einer weicheren, feinporigeren Krume und einer verlängerten Frischhaltung – ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für die Industrie. In Sandkuchen fielen die Effekte aufgrund der bereits enthaltenen natürlichen Emulgatoren schwächer aus, während in Brioche-Teigen keine nennenswerte Verbesserung festgestellt wurde.

Ergänzend wurden die emulgierenden Eigenschaften der Lipasen auf molekularer Ebene durch Lipidomics-Analysen untersucht: Im Rahmen der massenspektrometrischen Untersuchungen in den mit Lipase behandelten Kuchenteigen und Kuchen wurden bis zu 317 unterschiedliche Lipide identifiziert und relativ quantifiziert. Korrelationen zwischen der Substratspezifität und texturellen Verbesserungen konnten nachgewiesen werden: Die Substratspezifität von Lipasen ist demnach entscheidend für ihre Wirkung.

Abb. 2: Klebrigkeiten der Kuchenteige für Rührkuchen, Sandkuchen und Brioche (n=3). Kontrolle – unbehandelter Teig, DATEM – mit Emulgator DATEM versetzter Teig, A-O – mit 7 ausgewählten Lipasen A-O behandelte Teige. Sterne zeigen einen signifikanten Unterschied (ANOVA mit Dunnett’s t-Test, p≤ 0,05) zur entsprechenden Kontrollprobe.


Kosten senken – und Qualität steigern


Zusätzlich wurde festgestellt, dass der gezielte Einsatz von Lipasen in bestimmten Backwaren eine signifikante Reduktion der Backverluste ermöglicht. Dies ist insbesondere für Unternehmen von Vorteil, die ihre Produktionskosten senken und gleichzeitig die Produktqualität optimieren möchten.
Auf Grundlage der Ergebnisse konnte in weiterführenden Untersuchungen zudem nachgewiesen werden, dass durch den Einsatz von Lipasen bis zu 50 % des zugesetzten Fetts in Feinen Backwaren reduziert werden kann – ohne dass die Produktqualität verringert wird! Im Sinne der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie der Bundesregierung können somit hochwertige fettreduzierte Lebensmittel entwickelt werden.


Gesichert: Anwendung in der Praxis


Zum Abschluss der Arbeiten wurde ein einfach durchführbarer, fluorimetrischer Assay entwickelt, mit dem die Eignung einer Backlipase für den Einsatz in Feinen Backwaren überprüft werden kann. Mit dessen Entwicklung sind nun Anwender in Industrie und Handwerk in der Lage, Backlipasen zu untersuchen, die nicht im Rahmen der Versuche analysiert wurden. Für die Anwendung in der Praxis wird damit eine gezielte Anpassung ermöglicht: Die optimalen Lipasen für individuelle Rezepturen können so gezielt ausgewählt werden.

„Im Rahmen dieses IGF-Projektes wurde aufgezeigt, dass durch die Verwendung von Backlipasen auf die Verwendung von Mono-Diglyceriden bei der Herstellung von Feinbackwaren verzichtet werden kann; ebenfalls, dass ein teilweiser Austausch oder Ersatz von Lecithinen möglich ist. Dadurch kann zugleich die Haltbarkeit und Textur von Feinbackwaren verlängert bzw. verbessert werden. Eine schnelle Umsetzung in die Praxis wird aufgrund der Untersuchungen zur Substratspezifität von bereits auf dem Markt verfügbaren Enzymen ermöglicht.”

Rüdiger Jank, Leitung Verfahrenstechnik bei Kuchenmeister GmbH in Soest


Gemeinschaftsforschung für den wirtschaftlichen Erfolg


Mit dem erfolgreich abgeschlossenen IGF-Projekt konnte ein tiefergehendes Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen Lipasen und Teigkomponenten gewonnen werden. Ebenso konnte ein fundierter Überblick über die Einsatzmöglichkeiten von Backlipasen in Feinen Backwaren unter Vermeidung von Fehlaromen ermittelt werden. Es konnte gezeigt werden, dass Lipasen nicht nur eine Alternative zu klassischen Emulgatoren sind, sondern einen echten Mehrwert bieten.

Dies haben Industrie und Handwerk bereits erkannt: Zahlreiche Unternehmen der Backwarenbranche nutzen die gewonnenen Erkenntnisse, um klassische Emulgatoren durch natürliche enzymatische Alternativen zu ersetzen. Dieser Ansatz ermöglicht nicht nur die Herstellung von Clean-Label-Produkten, sondern bietet auch wirtschaftliche Vorteile: reduzierte Rohstoffkosten, verbesserte Prozessstabilität und eine gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit. Das IGF-Projekt hat somit nicht nur wissenschaftlich eine hohe Relevanz, sondern auch einen entscheidenden wirtschaftlichen Impuls für die Backwarenbranche gesetzt, die nach wie vor von kleinen und mittelständischen sowie handwerklichen Betrieben geprägt ist.


(Stand: Februar 2025)


Ausgezeichnet mit dem Friedrich-Meuser-Forschungspreis 2024!


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"Substrate specificities of baking lipases for use in fine bakery goods" lautet der Titel der Dissertation von Dr. Charlotte Stemler, die im Rahmen dieses Best-Pracice-Projekts auch ihre Promotion mit summa cum laude erfolgreich abschließen konnte. Für ihre herausragende Dissertation, die gleichermaßen durch wissenschaftliche Exzellenz wie durch Anwendungsrelevanz und Implementierung überzeugt, wurde die Lebensmittelchemikerin mit dem Friedrich-Meuser-Forschungspreis 2024 ausgezeichnet.




Projektbeteiligte

Forschungseinrichtung:

Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Angewandte Biowissenschaften, Abt. für Bioaktive und Funktionelle Lebensmittelinhaltsstoffe
Prof. Dr. Katharina Scherf und Dr. Charlotte Stemler

Industriegruppen:


Forschungsvorhaben:

IGF-Projekt 20771 N "Charakterisierung der Substratspezifitäten von Backlipasen für den Einsatz in Feinen Backwaren"


... ein Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF)

Förderhinweis