- Projekte
- > Best-Practice-Projekte
- > Gashydrattechnologie
Energiewende in der Lebensmittelproduktion: Innovative Gashydrattechnologie ermöglicht Energieeinsparungen von bis zu 66 % bei der Saftkonzentrierung – bei Erhalt einer hohen Produktqualität
Orangensaft ist die Nr. 1 unter Saft-Fans: Im Jahr 2020 lag der Pro-Kopf-Konsum in Deutschland bei 7,5 Litern – dicht gefolgt von Apfelsaft, von dem hierzulande durchschnittlich 6,5 Liter getrunken werden. Auch Spezialitäten wie Sanddornsaft erfreuen sich großer Beliebtheit.
Saft aus Saftkonzentrat schneidet besser ab
Wenngleich Direktsäfte zunehmend gefragt sind, wird der überwiegende Teil der konsumierten Fruchtsäfte weiterhin aus Saftkonzentrat hergestellt. Aus guten Gründen: Denn durch den Entzug von Wasser reduziert sich das Volumen, sodass Lagerung und Transport effizienter und nachhaltiger werden. Etablierte Verfahren zur Konzentrierung wie die Verdampfung und die Gefrierkonzentrierung sind mit Nachteilen behaftet: Die einstufige Verdampfung beeinträchtigt die Naturbelassenheit des Produktes und ist energieintensiv, bei der mehrstufigen Verdampfung bedarf es hoher Investitionen in ausgefeilte Anlagen, die kleine und mittelständische Unternehmen in der Regel nicht leisten können. Die Gefrierkonzentrierung hingegen ist produktschonender, doch der Energieaufwand ist ähnlich hoch wie bei der einstufigen Verdampfung.Ressourceneffiziente und zugleich produktschonende Alternativen sind daher gefragt! Vor diesem Hintergrund begaben sich zwei Forschungsgruppen der Universität Erlangen-Nürnberg und der Technischen Universität Berlin auf die Suche nach einem geeigneten Verfahren für die Saftkonzentrierung sowie die Konzentrierung von wasserhaltigen Produkten. Sie wurden fündig bei der Gashydrattechnologie, die als innovatives Verfahren in der Lebensmittelverarbeitung bislang nicht eingesetzt wird und kaum erforscht ist. Es wurde ein großes Potential der Gashydrattechnologie zur Erreichung hoher Konzentrationsgrade erkannt – und das bei hoher Energieeffizienz und besonderer Produktschonung!
Was sind Gashydrate?
Gashydrate sind kristalline Festkörper aus Wasser und Gas. Sie sind aus Wassermolekülen als "Wirt" aufgebaut, die über Wasserstoffbrückenbindungen eine eisähnliche Käfigstruktur bilden, die – je nach natürlichem Vorkommen oder Anwendung – als "Gast" Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan oder Schwefelwasserstoff in gasförmiger Form einzuschließen vermag. Natürlich vorkommende Hydrate in Tiefeneisfeldern und Permafrostgebieten haben hauptsächlich Methan als Gastgas.Die Idee: CO2-Hydrate für die Konzentrierung
Für die Lebensmittelverarbeitung kommen als Gashydrate CO2-Hydrate in Frage: Unter Anwesenheit von CO2 entstehen in Reaktoren bei Drücken von 30-80 bar und bei kühlen Temperaturen von 1-8 °C die eisähnlichen Käfigstrukturen, die große Wassermengen aus wasserhaltigen Produkten binden können. Die gebildeten festen Hydrate mit dem gebundenen Wasser werden im Anschluss abgetrennt, so dass ein Konzentrat verbleibt. Dies war der theoretische Ansatz, um CO2-Hydrate für die Konzentrierung von Frucht- und Gemüsesäften einzusetzen.Ein Fall für die Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF): Das Potential der Gashydrattechnologie als Alternative zu konventionellen Konzentrierungsverfahren zu erschließen, war daher das Ziel des FEI-Projektes AiF 11 EWN, das nach dreijähriger Laufzeit im Jahr 2020 erfolgreich abgeschlossen werden konnte.
Drei Säfte im Modell
Am Beispiel von drei ausgewählten Fruchtsäften – den beliebtesten Säften Apfel- und Orangensaft sowie der Spezialität Sanddornsaft – wurde im Rahmen der Forschungsarbeiten gezeigt, dass sich die Gashydrattechnologie zur Konzentrierung von flüssigen Lebensmitteln grundsätzlich sehr gut eignet:In einem ersten Schritt wurden numerische Simulationen der Hydratbildung innerhalb verschiedener Reaktoren (statischer zylindrischer Reaktor und Rührkesselreaktor) durchgeführt; ebenso wurde die Enthalpie der Hydratbildung berechnet. Die Ergebnisse stimmen qualitativ gut mit in der Fachliteratur beschriebenen Experimenten überein, die unter ähnlichen Betriebsbedingungen durchgeführt wurden.
Prozessanforderungen wurden herausgearbeitet, um auf dieser Basis drei Reaktorkonzepte (Sprühsystem, Blasensäule und Rührkessel) zu entwickeln und zu untersuchen: Die Hydratbildung wurde in allen drei Reaktoren erfolgreich getestet. So konnte in einem Blasensäulenreaktor ein optimales Hydratwachstum bei einem Druck von 37,5 bar, einer Hydratbildungsdauer von zwei Stunden und einem Füllstand des Reaktors von 35 % erreicht werden.
Im Rührkesselreaktor konnten Säfte auf 45 °Brix und Zuckerlösungen auf 60 °Brix konzentriert werden. Auch zeigte sich, dass bei zunehmender Konzentrierung der Flüssigkeiten ein höherer Druck und eine niedrigere Temperatur erforderlich ist, um die Hydratphase zu bilden und zu erhalten.
Saft-Analytik mit diversen Parametern
Um die erwartete hohe Produktqualität, den Konzentrierungsgrad und die Produktausbeute messen zu können, wurden die drei Modell-Säfte und die Referenzkonzentrate anhand diverser Parameter charakterisiert: Neben Farbmessungen und Partikelgrößenverteilungen wurde Inhaltsstoffe wie Apfelsäure, Carotinoide und Polyphenole vermessen, ebenso weitere Parameter wie °Brix, pH- und aw-Wert, Dichte oder die Gesamttrockensubstanz. Des Weiteren wurden Untersuchungen durchgeführt, ob wertgebende Inhaltsstoffe wie Aromen, Vitamin C oder Farbstoffe im Konzentrierungsschritt in das Hydrat eingebaut werden. Ebenso wurde der Einfluss der Produktzusammensetzung (inkl. Zuckergehalt und pH-Wert) auf die Bildung des Gashydrats und dessen Auftrennung bestimmt.Zur Trennung von Hydrat und Konzentrat wurde das Hydrat im Anschluss an die Versuche gepresst, so dass das gepresste Pellet und der Presssaft analysiert werden konnten. Die Ergebnisse zeigten zunächst, dass geringe Mengen der wertgebenden Inhaltsstoffe in der Hydratphase zu finden sind – dies ist jedoch nicht auf einen Einbau in das Hydrat zurückzuführen; geringe Mengen des Saftkonzentrats haften lediglich am Hydrat.
Durch höheren Pressdruck sowie das Waschen des Pellets konnte anhaftendes Konzentrat weiter entfernt werden. Für eine weitere Optimierung des Trennprozesses kommen Flüssig-Fest-Trennverfahren wie Zentrifugieren oder Filtrieren in Frage, die für die Gashydrattechnologie in Zukunft weiter erforscht werden müssten.
Im Ergebnis konnten keine signifikanten Veränderungen der Produktqualität vor und nach dem Prozess gefunden werden. Damit konnte gezeigt werden, dass die Gasthydrattechnologie für die Saftkonzentrierung aufgrund der niedrigen Temperaturen besonders schonend ist – hitzeempfindliche Inhaltsstoffe wie Phenole oder Vitamin C bleiben erhalten.
„Die Gashydrattechnologie hat das Potential, die Verarbeitung von Säften im Rahmen der Aufkonzentrierung deutlich zu verbessern – da sie effektiver als das Gefrierkonzentrieren und produktschonender als das klassische Verdampfen ist. Hinsichtlich einer ressourcen- und produktschonenden Behandlung von Lebensmitteln würde eine zeitnahe Implementierung dieser Technologie den Nerv der Zeit treffen! Wir als kleines mittelständisches Unternehmen haben sehr von der Teilnahme, den Ergebnissen und den Möglichkeiten dieses IGF-Projekts des FEI profitiert.”
Matthias Schulz, Geschäftsführer der Diesdorfer Süßmost-, Weinkelterei & Edeldestille GmbH, Diesdorf
Beitrag zur Energiewende
Angesichts des dringenden Bedarfs zur Einsparung von Energie stehen seit einigen Jahren Projekte im Fokus der IGF-Förderung, deren Ergebnissse einen Beitrag zur Energiewende leisten. Dass die Gashydrattechnologie ein hohes Potential zur Einsparung von Energie in der Lebensmittelproduktion hat, kann mit den Ergebnissen eindrucksvoll nachgewiesen werden: So wurde gegenüber der Verdampfung eine Reduzierung des Energiebedarfs von bis zu 58 % erreicht. Im Vergleich zur Gefrierkonzentrierung wurden sogar Einsparungen von bis zu 66 % erzielt.Zum Abschluss der umfassenden Untersuchungen wurde erfolgreich ein Scale-Up um ein 40-faches Volumen – von 1 Liter auf 40 Liter – durchgeführt: Ein konstanter volumenbezogener Leistungseintrag stellte sich als beste Option heraus.
Für verschiedene Branchen hochinteressant
Die Gashydrattechnologie ist für zahlreiche, thermisch empfindliche Produkte in der Lebensmittelverarbeitung einsetzbar. Die Produktpalette reicht dabei von Säften, Frucht-, Tee- oder Kaffee-Extrakten bis hin zu Suppen sowie sensiblen Fermentationsprodukten in der Biotechnologie. Zudem stößt eine Nutzung zur Verbesserung von Teilprozessen der Wasserentfernung – zum Beispiel bei der Zuckerherstellung – auf großes Interesse. Durch die erreichbare Ressourceneffizienz sowie die Produktschonung sind sowohl Energieeinsparungen als auch höhere erzielbare Produktpreise möglich. Dies ist besonders für kleine und mittelständische Unternehmen, die sich beispielsweise auf Spezialitätenprodukte fokussieren, hochinteressant.Gashydrate auch als Backtriebmittel und zur Meerwasserentsalzung
Wie Veröffentlichungen der Forschungsstellen zeigen, beschränkt sich der Nutzen der Gashydrattechnologie nicht nur auf die Konzentrierung. So wird ihr Einsatz derzeit in einem weiteren IGF-Verfahren des FEI erforscht: "Untersuchungen zum Einsatz von Gashydraten als innovatives Triebmittel für Backwaren" lautet der Titel des von 2020 bis 2022 laufenden Projekts.Ebenfalls kann das innovative Verfahren auch bei der Meerwasserentsalzung eingesetzt werden; hierfür werden derzeit erste Anwendungsversuche durchgeführt.
(Stand: April 2022)
Projektbeteiligte
Forschungsstellen:- Universität Erlangen-Nürnberg, Department Chemie- und Bioingenieurwesen, Lehrstuhl für Strömungsmechanik
- Technische Universität Berlin, Institut für Lebensmitteltechnologie und Lebensmittelchemie, FG Lebensmittelbiotechnologie und -prozesstechnik
Industriegruppen:
- VDMA-Fachverband Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen e. V., Frankfurt
- Verein der Zuckerindustrie e.V. (VdZ), Berlin
- Fachverband Pektin e.V., Neuenbürg
Forschungsvorhaben:
IGF-Projekt AiF 11 EWN "Lebensmitteltechnologische Potentiale der innovativen, ressourcen- und produktschonenden Gashydrattechnologie am Beispiel der Konzentrierung von ausgewählten Säften"
... ein Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF)